Sprachliche Vielfalt in Gefahr


Fast die Hälfte aller Sprachen vom Aussterben bedroht

Es gibt heute nur noch ca. 6500 bis 7000 verschiedene Sprachen auf der Welt. Ganz genau lässt sich das gar nicht sagen. Und „nur“ schreibe ich, weil man davon ausgeht, dass es im Jahre 10.000 v.Chr. noch mehr als 20.000 Sprachen gegeben haben muss.

Wirft man allerdings einen Blick auf die Zukunftsprognose der weltweiten Sprachenentwicklung, ist eine Anzahl von guten sechseinhalbtausend doch noch eine ordentliche Zahl, denn groben Schätzungen zufolge erfährt die Erde ein anhaltendes und sich verstärkendes Aussterben von Sprachen, so dass im Jahre 2200 möglicherweise tatsächlich nur noch 100 verschiedene Sprachen auf der Welt existieren bzw. aktiv von Muttersprachlern gesprochen werden.

Die drei meistgesprochenen Sprachen der Welt sind Mandarin-Chinesisch, Englisch und Spanisch. Deutsch schafft es gerade noch in die Top 10. Etwa die Hälfte der Weltbevölkerung spricht eine der zehn meistgesprochenen Sprachen, darunter auch Arabisch, Bengali und Japanisch. Die verbleibenden, mindestens 6490 Sprachen verteilen sich also auf die übrigen 50% der Menschheit. Dass hier auch kleine bis sehr kleine Sprachgemeinschaften dabei sind, für die der Erhalt und die Weitergabe ihrer Sprache eher schwierig sind, kann man sich also gut vorstellen.

Um bei den Menschen ein Bewusstsein im Hinblick auf gefährdete Sprachen zu schaffen und die Wichtigkeit des Schutzes der linguistischen Vielfalt hervorzuheben hat die UNESCO den Atlas of the World’s Languages in Danger erstellt, in dem die jeweiligen Sprachen in fünf bzw. sechs Kategorien der Gefährdung eingeteilt werden. Diese sind:

 

 

Degree of endangerment

Intergenerational Language Transmission

!

Safe

language is spoken by all generations; intergenerational transmission is uninterrupted >> not included in the Atlas

!

Vulnerable

most children speak the language, but it may be restricted to certain domains (e.g., home)

!

Definitely endangered

children no longer learn the language as mother tongue in the home

!

Severely endangered

language is spoken by grandparents and older generations; while the parent generation may understand it, they do not speak it to children or among themselves

!

Critically endangered

the youngest speakers are grandparents and older, and they speak the language partially and infrequently

!

extinct

there are no speakers left >> included in the Atlas if presumably extinct since the 1950s

 

Was sind Ursachen für das Aussterben einer Sprache?

Zum einen spielt hier der Faktor des ökologischen Risikos eine Rolle. In Gegenden, in denen Menschen eher von anderen Menschen abhängig oder auf diese angewiesen sind, entstehen mehr soziale Bindungen, was wiederum keine große Sprachenvielfalt, im Gegenteil sogar eher eine einheitliche Sprache erforderlich macht.

Dann hat die Geschichte gezeigt, dass große, starke Staaten zu sprachlicher Homogenität führen; diese wird nicht selten durch repressive Maßnahmen herbeigeführt. In Deutschland war während des Nazi-Regimes beispielsweise das Sorbische verboten und in der Türkei gilt heute wieder ein Verbot des Kurdischen im Alltag und in der Öffentlichkeit, bzw. wird die Existenz einer solchen Sprache von türkischer Seite sogar geleugnet.

Auch die Kolonisierung von Ländern bzw. jegliche Form von Fremdherrschaft hat im Laufe der Zeit zum Sterben von Sprachen beigetragen. Und nicht zuletzt hat heute natürlich auch die allgemeine Globalisierung einen großen Einfluss auf die Sprache der Menschen. Denn wer sich in dieser globalisierten Welt zurechtfinden will, der muss sich auch in ihr verständigen können.

In den meisten Fällen entsteht sprachliche Homogenität aber doch durch eine freiwillige bzw. mit der Zeit automatisch eintretende Anpassung an die Sprache der „Stärkeren“.

 

Wie sieht aktuell die Situation in Europa aus?

Ganz offiziell gibt es in Europa bzw. der Europäischen Union 24 Amtssprachen und nur ein paar mehr sind neben diesen noch offiziell anerkannt. Betrachtet man aber auch die „kleinen“, inoffiziellen Sprachen, dann kommt Europa noch auf ungefähr 200, von denen allerdings auch ein Großteil als mehr oder weniger gefährdet eingestuft wird.

Zu den vom Aussterben bedrohten Sprachen zählen zum Beispiel viele keltische Sprachen wie Walisisch, Bretonisch (die einzige keltische Sprache außerhalb der britischen Inseln) und sogar Irisch (Gälisch); obwohl letzteres sogar offizielle Amtssprache und Pflichtfach in Irland ist. Bei den romanischen Sprachen werden unter anderem Korsisch, Sardisch und Sizilianisch als gefährdet gelistet.

Sogar in Deutschland gibt es laut UNESCO 13 Sprachen, die vom Aussterben bedroht sind, darunter die friesischen Sprachen, häufig auch als Plattdeutsch bezeichnet. Besonders Nord- und Ostfriesisch/Saterfriesisch gelten als ernsthaft gefährdet. Aber auch in anderen Landesteilen Deutschlands haben sich neben dem Hochdeutschen noch weitere Sprachen erhalten, beispielsweise Bayerisch, Mosel- und Rheinfränkisch – alle drei gelten aber als potentiell gefährdet.

 

Wie können Sprachen gerettet werden?

Im ersten Moment erscheint einem das Verschwinden einer oder mehrerer kleiner und weitgehend „bedeutungsloser“ Sprachen vielleicht nicht unbedingt als ein gravierendes Problem, dem man unbedingt entgegenwirken sollte. Macht man sich aber bewusst, dass mit dem Sterben einer Sprache oftmals nicht nur der Verlust von speziellen Wörtern, Ausdrücken, besonderen Redensarten und einzigartigen Beschreibungen der (Um)Welt einhergeht, sondern damit auch eine ganz eigene Kultur zu verschwinden droht, dann bekommt diese Thematik schon wieder ein ganz anderes Gewicht.

Um das Sprachensterben aufzuhalten oder zumindest zu verlangsamen, bedarf es gezielter politischer Förderung.

Das Europäische Parlament widmet dieser Thematik große Aufmerksamkeit und erstellt eigene Themenpapiere, in denen die Situation analysiert und Lösungs- bzw. Hilfsmaßnahmen zur Rettung von Sprachen und zum Erhalt der Sprachenvielfalt in Europa erarbeitet werden.

In Irland wurde, wie bereits erwähnt, das Irische/Gälische neben Englisch zur Amtssprache erhoben und es wird in Schulen als Pflichtfach unterrichtet.

Aber nicht nur Gesetze, auch freiwillige Programme können helfen. Eine weitere Maßnahme ist zum Beispiel, Kinder mit älteren Menschen zusammen zu bringen, welche die gefährdete Sprache noch gut beherrschen. So lernen die Kleinen die Sprache und können gleichzeitig eine gewisse Verbundenheit entwickeln. Solche Programme gibt es zum Beispiel für das Friesische.

Diese Verbundenheit ist es auch, die zum weiteren Erhalt einer Sprache beitragen kann, denn es ist wichtig, dass die (potentiellen) Sprecher einen emotionalen Bezug zu dieser Sprache haben und sie für sie zu ihrer Identität gehört. Es darf nicht nur eine geschichtliche Relevanz vorliegen, die Sprache sollte auch in der Gegenwart eine Bedeutung und auch einen Nutzen für ihre Sprecher haben; es bedarf also einer gewissen Motivation, um die entsprechende Sprache auch anwenden zu wollen. Daher ist es durchaus wichtig, dass die jeweilige Sprache im Alltag der Menschen genutzt wird beziehungsweise werden kann, zum Beispiel wenn es Zeitungen, Fernsehprogramme oder ähnliches gibt, die in der gefährdeten Sprache produziert und dann rezipiert werden können.