Lingua franca, Pidgin oder schon Kreol?


Sie verstehen nur Bahnhof?
Was hier für den ein oder anderen vielleicht eher nach besonderen Schmuckstücken oder kulinarischen Köstlichkeiten klingt, sind in Wirklichkeit Bezeichnungen für verschiedene Sprachen bzw. Sprachphänomene.
Als Linguist oder Übersetzer sind Ihnen diese Begriffe sicher nicht fremd, allen anderen Interessierten sei hier einmal kurz beschrieben, was sich hinter dem jeweiligen Ausdruck verbirgt, denn auch Sie benutzen womöglich (oder sogar wahrscheinlich) selbst hin und wieder eine Lingua franca.

Pidgin und Kreolsprachen


Die Lingua franca, eine „fränkische Sprache“?

Mit dem, was wir heute gemeinhin als „Fränkisch“ bezeichnen, hat die Lingua franca tatsächlich überhaupt nichts zu tun. Übersetzt bedeutet dieser italienische Begriff zwar wirklich „fränkische Sprache“, gemeint ist aber entweder
a) eine im Mittelalter entstandene und gesprochene Handels- und Verkehrssprache
oder
b) eine natürliche Sprache, die Personen mit unterschiedlichen Muttersprachen als Verkehrssprache dient.

Erste Formen der ursprünglichen Lingua franca (a) wurden vermutlich in der Zeit der Kreuzzüge entwickelt, aber erst ab dem 16. Jahrhundert gibt es vermehrt Quellen, die ihre Existenz belegen. Es handelt sich bei der Lingua franca um eine eigene Sprache auf romanischer Basis mit Elementen und Einflüssen nicht-romanischer Sprachen, vor allem aus dem Arabischen, Persischen und Griechischen.
Die Benennung als „fränkische“ Sprache rührt wahrscheinlich daher, dass Westeuropäer/„Abendländer“, von Sprechern der zuvor genannten Sprachen damals verallgemeinernd als Franken bezeichnet wurden.
Gesprochen wurde die Lingua franca bis ins 19. Jahrhundert hinein, insbesondere an der Süd- und Ostküste des Mittelmeers. Sie ermöglichte die Kommunikation zwischen Seeleuten und Händlern aus dem arabischen Sprachraum und Europäern, hauptsächlich Italienern, Spaniern und Franzosen.
Sie hat sich nie wirklich als Schriftsprache etabliert.

Wenn heute von einer Lingua franca die Rede ist, bezieht sich der Ausdruck auf eine Sprache, die von Personen mit verschiedenen Muttersprachen als gemeinsame Verkehrssprache herangezogen wird (b). Sie ermöglicht also eine Verständigung, ohne dass ein Dolmetscher oder ähnliches benötigt wird.
Linguae francae spielen auch heute im Hinblick auf den globalen Handel eine große Rolle, sie werden aber auch in Politik, Wissenschaft, Verwaltung und natürlich im Tourismus eingesetzt. Die bekannteste und wichtigste internationale Verkehrssprache ist Englisch. Je nach Schätzung wird es von bis zu 1,5 Milliarden Menschen verstanden – als Mutter-, Zweit- oder Fremdsprache. Daneben sind vor allem Spanisch und Französisch, aber auch Arabisch und Chinesisch zu nennen.
Linguae francae werden aber nicht nur im globalen Kontext genutzt, sondern teilweise auch auf nationaler Ebene. Länder mit mehreren verschiedenen Sprachgemeinschaften machen sich Verkehrssprachen für eine gemeinsame Kommunikation zunutze, so zum Beispiel Indien. Dort werden weit mehr als 100 unterschiedliche Sprachen gesprochen, die Amtssprachen Englisch und Hindi werden aber von allen Bürgern als Lingua franca genutzt und verstanden.

Pidgin und Kreol -– Phänomene einer eroberten Welt

Es gibt Kommunikationssituationen, in denen die Beteiligten keine gemeinsame natürliche Sprache verstehen und sprechen, die ihnen als Lingua franca dienen könnte. Da häufig aber dennoch ein Bedarf an Verständigung herrscht, wird versucht, mit den sprachlichen Mitteln aller Parteien zu kommunizieren, woraus sich in der Geschichte zum Teil ganz neue Sprachen entwickelt haben, die sogenannten Pidgin-Sprachen.

Ein Pidgin hat zunächst keine muttersprachlichen Sprecher. Es ist eine Hilfssprache, die als Fremdsprache erlernt und in ihrer grammatischen Struktur in der Regel stark vereinfacht ist. Solche Sprachen entstanden vor allem in kolonialen Situationen, in denen die Sprache der Kolonialherren auf die der einheimischen Bevölkerung traf. Meist basierte das Pidgin auf der Sprache der dominanten Gruppe, also auf Englisch, Französisch, Spanisch oder Portugiesisch. Ergänzt wurde es mit Elementen der heimischen Sprache und unter gewissen Umständen (Sklaven aus anderen kolonialisierten Ländern) auch weiterer Sprachen, diente aber häufig nur wenigen Zwecken, wie zum Beispiel einer rudimentären Kommunikation für Handel, Arbeit oder mehr oder weniger erzwungene soziale Kontakte, etwa in Arbeitslagern, was eine weitere Ausarbeitung und Entwicklung des Pidgin meist überflüssig machte.
Die mittelalterliche Lingua franca war folglich auch eine Pidgin-Sprache.

Hat sich ein Pidgin nun aber irgendwann sogar zur Muttersprache einer Personengruppe entwickelt, wird es nicht mehr als Pidgin, sondern als Kreol-Sprache bezeichnet. Dafür muss das Pidgin aber lange genug stabil existieren.
Eine Kreol-Sprache unterschiedet sich von ihren Ausgangssprachen in Grammatik und auch im Lautsystem. Gegenüber Pidgin-Sprachen zeichnen sich kreolische Sprachen durch ihr umfangreicheres Vokabular, ihre wesentlich kompliziertere Grammatik und einen einheitlichen Sprachgebrauch aus. Im Allgemeinen besitzen sie zwar eine regelmäßige, aber einfache Grammatik, haben eine feste Wortstellung und vermeiden eher schwierige Lautverbindungen. Ihre, im Gegensatz zu Pidgin, höhere Komplexität, kommt wahrscheinlich daher, dass sie nicht nur zu Kommunikationszwecken eingesetzt werden, sondern auch den expressiven und integrativen Funktionen einer Sprechgemeinschaft gerecht werden mussten/müssen.
Die Kreol-Sprache mit den meisten Sprechern ist das haitianische Kreol, es wird von mehr als zehn Millionen Menschen gesprochen.